Ein Überblick

Der 1. Korintherbrief – antikes oder immer noch gültiges Dokument?

Ein Brief in dem Gemeindezucht, die Rolle der Frau und die Frage von Götzendienst behandelt wird: Ist dies ein zwar interessantes, aber nur für die damalige Zeit und das damalige Umfeld gültiges Dokument? Nein! Es ist bemerkenswert, dass Paulus sich in seiner Anrede gerade nicht auf die damaligen Empfänger beschränkt, sondern seinen Brief ausdrücklich an „alle, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ richtet1. Der 1. Korintherbrief hat auch für Christen im 21. Jahrhundert nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Der erste Korintherbrief ist ein „Problembuch“ in dem Sinn, dass Paulus die Probleme oder Fragen („Was aber ... betrifft“) behandelt, mit denen die Versammlung in Korinth konfrontiert war. Die Spaltungen, die „Heldenverehrung“ führender Diener, Unmoral, Rechtsstreitigkeiten, Eheprobleme, zweifelhafte Praktiken, die Regelung der Ausübung geistlicher Gaben und sogar lehrmäßige Verirrungen werden hier behandelt.

Es wäre jedoch falsch zu glauben, der Brief behandle nur Probleme! Dieser Brief enthält auch Kapitel 13: die schönste Abhandlung über die Liebe, nicht nur in der Bibel, sondern auch in der Weltliteratur. Auch die ausführliche Lehre über die Auferstehung - sowohl die von Christus als auch die der Gläubigen (Kap. 15) –,Gedanken zum Mahl des Herrn (Kap. 11), all das findet sich ebenfalls in diesem wichtigen Brief. Er ist eine Fundgrube für praktische christliche Lehre.

 

Datum

Paulus teilt mit, dass er aus Ephesus schreibt (Kap. 16,8, 9, vgl. V. 19). Da er dort drei Jahre lang diente, wurde der 1. Korintherbrief höchstwahrscheinlich in der zweiten Hälfte dieses langen Dienstes geschrieben, also etwa 55 bis 57 n. Chr.

 

Die Stadt Korinth – ein „melting pot“2 der Antike

Die Stadt Korinth liegt in Südgriechenland, westlich von Athen, strategisch günstig an den Handelsrouten zur Zeit des Paulus. Dadurch wurde sie zu einem wichtigen Zentrum für den internationalen Handel und eine große Menge an Menschen und Waren kamen in diese Stadt. Durch die verschiedenen Götzenkulte, denen die Menschen anhingen, wurde die Stadt auch zum Schauplatz verschiedener Formen der Unmoral, so dass der Name Korinth ein Synonym für alles Unreine und Sinnliche wurde. Der Ruf der Stadt war so schlecht, dass sogar ein Verb geprägt wurde, korinthiazomai, was so viel bedeutet wie „ein unzüchtiges Leben führen“. Doch gerade in diesem „Sodom und Gomorrha“ hatte der Herr ein großes Volk. Aus welchem Hintergrund die ersten Christen in Korinth kamen, macht Paulus in dem Brief sehr deutlich: „Denn seht eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind; … Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Irrt euch nicht! Weder Hurer noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Weichlinge noch Knabenschänder noch Diebe noch Habsüchtige noch Trunkenbolde noch Schmäher noch Räuber werden das Reich Gottes erben. Und solches sind einige von euch gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes“ (1. Kor 1,26; 6,9-11).

Wie das Evangelium nach Korinth kam

Der Apostel Paulus besuchte Korinth erstmals auf seiner zweiten Missionsreise (Apg 18). Dort lernte er Aquila und Priscilla kennen, die in der Zukunft wertvolle und geschätzte Mitarbeiter des Apostels wurden. Sie waren Zeltmacher und hatten somit dasselbe Handwerk wie Paulus. Dieser arbeitete mit ihnen während der ersten Zeit in Korinth zusammen und ging, wie er es gewohnt war, zunächst an jedem Sabbat in die Synagoge, um sich dort mit den Juden und anwesenden Griechen (zum Judentum übergetretene Proselyten) zu unterreden. Als die Juden widerstrebten und lästerten, machte Paulus ihnen deutlich, dass er sich jetzt auch an die nicht-jüdischen Bewohner der Stadt wenden würde.

Trotz aller Ablehnung gab es auch Bekehrungen unter den Juden. Nicht zuletzt bekehrten sich zwei Synagogenvorsteher in Korinth: Krispus (Apg 18,8) und (sehr wahrscheinlich) Sosthenes (V. 17). Auch viele Korinther, die dem Apostel zuhörten, glaubten und wurden getauft. Ein Prozess, den die Juden vor dem Prokonsul Gallion anstrengten, brachte ihnen auch keinen Erfolg, da Gallion die – wie er es nannte – „Streitfragen über Worte und Namen und das Gesetz, das ihr habt“ gleichgültig waren (V. 12-17).

Der Herr erschien Paulus in einem Nachtgesicht, um ihn noch einmal zu ermuntern. Er gab ihm die Zusicherung: „Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt“ (Apg 18,10). Paulus blieb ungefähr ein Jahr und sechs Monate dort (V. 11) und lehrte unter den Gläubigen das Wort Gottes. Schließlich verließ er Korinth und reiste weiter nach Ephesus (V. 18.19).

Auf seiner dritten Missionsreise (ab Kap. 18,23; 19) hielt sich Paulus drei Jahre in Ephesus auf. Hier hörte er von ernsten Schwierigkeiten in der Versammlung von Korinth. Seine Informationen beruhten hauptsächlich auf zwei Quellen:

 

  • Er hatte durch die Hausgenossen der Chloe von Uneinigkeiten in Korinth erfahren (1. Kor 1,11)
  • Außerdem hatten ihm die Korinther einen Brief geschrieben mit verschiedenen Fragen zur christlichen Praxis.

 

Diese Situation veranlasste den Apostel, diesen Brief an die Korinther zu schreiben.

Ich möchte mit einem treffenden Zitat schließen:

„Es ist beeindruckend, mit welcher Mühe und Genauigkeit Paulus sowohl auf die Fragen eingeht, die die Korinther ihm gestellt hatten, als auch auf die Missstände, von denen er gehört hatte. Er prangert Fehlverhalten mit sehr deutlichen und manchmal scharf wirkenden Worten an – aber er tut es aus Liebe (2. Kor 2,4; 11,11; 12,15)“.3

 


 



[1] Vgl. 1. Kor 4,17; 7,17; 11,16; 14,33
[2] Schmelztiegel
[3] Ernst-August Bremicker, Michael Hardt, Paulus – sein Leben. Sein Dienst. Sein Vermächtnis
[4] Nach: A. Remmers, Das Neue Testament im Überblick