Lazarus, komm heraus!
Friedhöfe sind wie Denkmäler. Gehen die Menschen dorthin, werden sie unwillkürlich an den Tod, diesen mächtigen Feind, erinnert. Es hilft nichts, wenn sie die Zeitungsseite mit den Todesanzeigen möglichst schnell umblättern. Man mag den Gedanken an das Ende verdrängen oder in Aktivitäten ersticken. Es bleibt doch wahr, daß dieser „König der Schrecken" (Hiob 18,14), wie ihn die Bibel nennt, unweigerlich kommt.
Auf diesem Hintergrund erscheint es um so gewaltiger, daß der Herr Jesus auf dieser Erde Seine Macht darin bewies, daß Er drei Menschen aus den Toten auferweckte. In allen drei Fällen hatte der Tod einen Menschen aus dem vollen Leben gerissen. Im folgenden soll auf die drei Begebenheiten kurz eingegangen werden.
Sie war noch so jung
Es hat mich besonders berührt, als ich kürzlich auf einem Friedhof eine Gruppe von Gräbern sah, wo Kinder beerdigt waren. Auf manchen Grabsteinen saßen Plüschtiere, neben anderen lagen die eingerahmten Bilder der Kinder. Das alles drückte unübersehbar den Schmerz der Eltern aus. Welch eine Tragik, wenn ein so junges Leben beendet wird. Im August vergangenen Jahres gaben Tausende von Menschen den beiden auf entsetzliche Weise umgekommenen Mädchen in Belgien das letzte Geleit. Auch wenn die Empörung über die sinnlose Gewalt für viele der Grund war, dorthin zu fahren, so hat es die Menschen doch auch besonders berührt, daß die Opfer Kinder waren.
„Sie war noch so jung" - so oder ähnlich hätte Jairus vielleicht die Zeitungsannonce überschrieben. Seine zwölfjährige Tochter war plötzlich gestorben. Dabei sah es noch kurz vorher so gut aus - Jesus war in der Nähe. Er hatte doch schon so viele Kranke geheilt - hätte Er nicht auch seiner Tochter helfen können? Jetzt war das Leben von ihr gewichen - keine Hoffnung mehr. Ohnmächtig stand dieser Synagogenvorsteher dem Tod gegenüber - „Deine Tochter ist gestorben, bemühe den Lehrer nicht".
Als alle aufgegeben hatten und man keinen Grund sah, Jesus noch zu bemühen, da, gerade da offenbarte Er Seine göttliche Macht. Drei Worte genügen: „Kind, steh auf!"
Ein israelitischer König hatte einst ausgerufen, als man Naaman zu ihm sandte: „Bin ich Gott, um zu töten und lebendig zu machen?" (2. Kön 5,7). Er hatte die Sache auf den Punkt gebracht. „Lebendig machen" - das konnte und kann nur Gott. Und genau das ist hier geschehen. Eben noch hatten sie den Herrn ausgelacht, jetzt berichtet der inspirierte Schreiber, daß ihre Eltern außer sich gerieten. Das können wir nur zu gut verstehen. Wer hätte sich da nicht gefreut?
„Und er befahl, ihr zu essen zu geben". Bei jeder der drei Auferweckungen in den Evangelien fällt auf, daß der Herr für die auferweckte Person sorgte. Hier befahl Er, dem Mädchen zu essen zu geben. Die geistliche Anwendung liegt sehr nahe. Jeder, der seine Sünden dem Herrn Jesus bekannt und ewiges Leben erhalten hat, ist mit Christus auferweckt. Epheser 2 nennt uns in unserem natürlichen Zustand tot in „Vergehungen und Sünden". Wenn dann jemand im Glauben den Herrn Jesus annimmt, braucht er als erstes etwas zu essen. Für Jairus war es völlig selbstverständlich, seiner Tochter jetzt zu essen zu geben. Genauso dürfen wir Jungbekehrte nicht verhungern lassen. Der Herr versorgt dieses Mädchen nicht selbst, sondern Er beauftragt andere damit. Er wird uns diese Aufgabe nicht abnehmen.
Wenn wir schon im natürlichen Leben nicht erwarten, daß ein Neugeborenes die Integralrechnung beherrscht oder Auto fahren kann, sondern schon mit einem soliden Saugreflex zufrieden sind, dann trifft das erst recht auf den geistlichen Bereich zu. Geben wir ihnen doch zu essen!
Die letzte Stütze
Die Begebenheit aus Lukas 7 bietet ebenfalls ein bewegendes Bild. Eine Witwe begleitet ihren einzigen Sohn, der gestorben war, auf dem Weg zum Grab. Und mit ihrem Sohn begräbt sie alle Hoffnung, jede Stütze, ihren letzten Halt. Sie ist am Ende. Auf diesem schweren Weg begleiteten sie sehr viele Menschen. Die Bibel spricht von einer „großen Volksmenge". Schweigend und bedrückt folgten sie alle dieser niedergeschlagenen Frau. Der Tod hatte gesprochen. Und keiner konnte widersprechen - alle fühlten die unerbittliche Macht dieses schrecklichen Feindes. Diesem Trauerzug nähert sich eine andere Personengruppe. Auch hier heißt es in Lukas 7 - eine „zahlreiche Volksmenge". Aber diese Volksmenge wird nicht von dem Tod angeführt, sondern von dem LEBEN. Jesus, der „Urheber des Lebens" trifft hier auf einen toten jungen Mann. Wie zwei Demonstrationszüge prallen diese beiden gewaltigen Mächte aufeinander. Die Situation ist an Dramatik kaum zu überbieten.
Wie viele Tote mögen diese Träger wohl schon auf den einsamen Friedhof vor der Stadt getragen haben? - Aber so etwas hatten sie noch nie erlebt. Wie viele Millionen von Menschen sind in ein Grab gelegt worden, und da war niemand, der die Begräbniszüge aufhalten konnte. Aber Jesus stoppt die Demonstration des Todes. Die Träger stehen still - alles hält den Atem an. Die Augen des Herrn ruhen voller Verständnis auf dieser Witwe - „Weine nicht". Das ist normalerweise leichter gesagt als getan. Aber hier war jemand, der wirklich Tränen abwischen konnte, bei dem das nicht hohle, ohnmächtige Worte waren. Dieser Herr war innerlich bewegt über die Not der Witwe, und mit einem machtvollen: „Jüngling, ich sage dir, steh auf!" gibt Er den Sohn seiner Mutter zurück. Die Träger waren auf einmal arbeitslos, die „Nachfeier" fiel aus - das Erscheinen Jesu hatte alles völlig geändert. Welch ein Jubel in dem Herzen der Mutter. Die Menschen spürten - „Gott hat sein Volk besucht".
Geistlich angewendet, können wir zwei Dinge von dem Jüngling lernen. Als erstes wird von ihm berichtet, daß er anfing zu reden. Das ist eigentlich normal für eine lebende Person - wenn sie nicht gerade schläft. Wenn du errettet bist, dann fang doch mal an zu reden, gib ein Lebenszeichen von dir. Wie sollen die anderen sonst erkennen, daß du nicht mehr tot bist? Als zweites gibt der Herr den Sohn GEH seiner Mutter. Sie braucht ihn, aber der Sohn braucht auch die Mutter. Jeder Neugeborene braucht nicht nur Nahrung, sondern auch Zuwendung. So, wie eine junge Pflanze nicht nur Wasser, sondern auch APOS Licht und Wärme benötigt, genauso brauchen Christen, die jung im Glauben sind, solche, die sie führen und stützen.
„Der, den du lieb hast"
Die dritte Person, die der Herr auferweckte, war Lazarus. Er und seine beiden Schwestern Martha und Maria lebten in einem Haus, das für den Herrn wie eine Oase gewesen sein muß. Wie oft mag Er bei ihnen eingekehrt sein? Jetzt war Lazarus krank geworden, der Herr wird gerufen - doch Er kommt nicht. Den Grund dafür teilt uns Johannes mit - der Sohn Gottes sollte durch eine Krankheit „verherrlicht werden". Das entsprach auch im besonderen dem Charakter dieses Evangeliums, das den Herrn Jesus in Seiner Eigenschaft als Sohn Gottes beschreibt.
Als Lazarus starb, hörte der Herr sowohl von Martha als auch von Maria: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben" (Joh 11,21.32). Worte, die zwar Glauben verraten, zugleich aber auch Enttäuschung zum Ausdruck bringen. Dieser Enttäuschung und Trauer begegnet der Herr mit außerordentlichem Mitgefühl. Der Sohn Gottes vergießt Tränen. Liest man den Text, meint man, daß es Johannes, als er dieses Ereignis nach 50 oder 60 Jahren aufschrieb, noch immer die Kehle zuschnürte: „Jesus vergoß Tränen". Dieses Bild, diese Tränen hatte er nicht vergessen. Aber was darauf folgte, war nicht minder beeindruckend. Jesus auferweckt einen gestorbenen Lazarus, dessen Körper bereits begonnen hatte zu verwesen. Ein Wunder? Glaubst du noch daran? Ja, ich glaube daran. Mit befehlender Stimme gebietet das „Wort des Lebens" dem Tod - und er muß Lazarus herausgeben. Wie wurde der Herr Jesus an diesem Grab verherrlicht! Lazarus, dessen Name „Mein Gott ist Heil" bedeutet, hatte tatsächlich Heilung erfahren.
Warum wird es bei euch für etwas Unglaubliches gehalten, wenn Gott Tote auferweckt? (Apg 26,8)
Ein Kennzeichen des auferweckten Lazarus ist, daß er einer von denen war, die mit dem Herrn Jesus „zu Tisch lagen" (Joh 12,2). An einem Tisch sitzt man zusammen, man tauscht sich aus - kurz, man hat Gemeinschaft miteinander. Das ist ein unverzichtbares Merkmal für einen jungen Christen. Nahrung und Zuwendung sind nötig - aber das Wichtigste ist vielleicht der persönliche Umgang in der Nähe des Herrn. „Kommt her zu mir", „Folge mir nach", „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" - nichts und niemand kann uns die vertraute Nähe unseres Herrn ersetzen.
Die Enttäuschung der Schwestern hatte sich in Freude gewandelt. Aus dem „Haus des Elends" - das ist die Bedeutung des Namens Bethanien - war ein Haus der Freude geworden. Der, den der Herr lieb hatte, war nicht mehr krank oder tot - er saß lebendig am „Tisch seines Herrn".
Das größte Wunder
Diese drei Ereignisse zeigen deutlich die Größe und die Macht unseres Herrn. Sie sind aber zugleich die Vorschattung eines Ereignisses, das sich wenige Wochen nach diesen Wundern vor den Toren Jerusalems zutrug. Nach Seiner vermeintlichen Niederlage wurde Jesus in ein Grab gelegt. Seine Anhänger bekamen Furcht und schlossen sich ein. Zwei andere sagten, was alle dachten: „Wir aber hofften, daß er der sei, der Israel erlösen solle" (Lk 24,21). Dann kamen sie alle zum Grab, die Frauen mit den Salben und Gewürzen, Maria, Johannes, Petrus. Und was sehen sie? - Ein leeres Grab.
Lieber Freund, das Grab war leer und das Grab ist leer. Jesus ist auferstanden! Ist das für dich ein Grund zum Danken und zum Jubeln? Das ist und bleibt das größte Wunder! Der Herr Jesus Christus hat durch Seine Auferstehung den Tod besiegt und „Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht" (2. Tim 1,10). Und was die Lüdemanns und Drewermanns und Bultmanns auch alle reden mögen - laß dir das nicht nehmen, daß das Grab leer ist. Andernfalls könntest du deine Bibel im Antiquariat abgeben und einpacken. Oder wie Paulus es sagt: „Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube eitel. ... Wenn wir allein in diesem Leben auf Christum Hoffnung haben, so sind wir die elendesten von allen Menschen" (1. Kor 15,17.19).
Solange dieser auferstandene Herr noch die Gnadenzeit gewähren läßt, werden der Friedhof und die Todesanzeige weiterhin stille Mahner sein, ob es den Menschen paßt oder nicht.
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